Stein des Anstoßes ist die direkte Einbettung von Schriften, die Google auf Google Fonts kostenlos anbietet.

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Groß Enzersdorf/Graz/Wien – Reihenweise Anwaltsbriefe flattern momentan bei Betreiberinnen und Betreibern von privaten oder Unternehmens-Websites ein. Ein in Groß Enzersdorf ansässiger Rechtsanwalt, der sich im Briefkopf selbst als "Datenschutzanwalt" bezeichnet, verweist darauf, dass "seine Mandantin" die jeweilige Website besucht und daraufhin festgestellt habe, dass ihre IP-Adresse an Google bzw. dessen Mutterkonzern Alphabet weitergeleitet worden sei.

Hintergrund ist die Einbettung von Schriftarten direkt über die Server von Google, womit ein Kontakt mit diesen aufgenommen und die besagte IP-Adresse übermittelt wird, ohne dass in den Datenschutzbestimmungen der jeweiligen Webseiten darauf hingewiesen wird.

Datensammlung

"Der erfolgte Kontrollverlust über ein personenbezogenes Datum an Google, also ein Unternehmen, das bekanntermaßen massenhaft Daten über seine Nutzer sammelt, verursacht meiner Mandantin erhebliches Unwohlsein und nervt sie massiv. Die Datenweitergabe an gerade ein solches Unternehmen stellt für meine Mandantin einen tatsächlichen und spürbaren Nachteil dar", schreibt der Anwalt. Er fordert mittels Vergleich 100 Euro Schadenersatz für seine Mandantin und 90 Euro "für die Rechtsverfolgung" ein – zu zahlen binnen 14 Tagen. Sollte die Zahlung ausbleiben, werde sich die Mandantin an die Datenschutzbehörde wenden und ihre Schadenersatzansprüche geltend machen.

Auslöser der aktuellen Abmahnwelle ist ein Urteil des Landesgerichts München. Dieses stellte vor einigen Monaten in der Einbettung von Google Fonts direkt über Google-Server einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) fest. Seitdem haben sich auch in Deutschland Abmahnanwälte auf das Thema gestürzt und verschicken massenhaft ähnliche Schreiben an Webseitenbetreiber.

Betroffenen Personen und Unternehmen wird seitdem geraten, die Google-Schriften auf ihren eigenen Servern abzuspeichern und von dort einzubinden. Dadurch wird kein Kontakt mit Google-Servern mehr aufgenommen, womit auch die Rechtsunsicherheit entfällt.

Wirtschaftskammer ist alarmiert

Die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) warnt mittlerweile vor entsprechenden Schreiben. Auf ihrer Homepage rät die WKO Betroffenen, mit dem Rechtsanwalt Kontakt aufzunehmen und ihn um Fristerstreckung im Ausmaß von ein bis zwei Wochen zur technischen Prüfung der Vorwürfe zu bitten. Der Rechtsanwalt solle das am besten per Mail bestätigen. "Prüfen Sie die eigene Website jedenfalls einmal mit IT-Hilfe, ob die Vorwürfe stimmen. Es ist möglich, Google Fonts auf die lokale Version ohne Datenaustausch umzustellen. Nehmen Sie bitte allfällige technisch notwendige Änderungen unverzüglich vor." Auf Website-Verantwortliche ohne entsprechende IT-Kenntnisse kommen also zusätzliche Kosten zu, im schlechtesten Fall dann aber auch noch die 190 Euro an den Anwalt und seine Mandantin, sollten sich die Vorwürfe bestätigen.

"Ich versuche einen Weg zu finden, das Problem selber zu beheben", sagt eine Betroffene zum STANDARD. "Sollte mir das nicht innerhalb einer gewissen Zeit gelingen, muss ich eine IT-Firma hinzuziehen, um die Fristen einhalten zu können, die sich aus dem Anwaltsbrief ergeben. Eine Klage wäre wohl aussichtsreich, die kann ich mir aber finanziell und zeitlich nicht leisten."

Vergleichsgespräche bislang ohne Ergebnis

Die Wirtschaftskammer Steiermark wendet sich in einem Schreiben an betroffene Mitglieder, die um Rat fragten: "Leider haben Vergleichsgespräche durch uns mit dem Anwalt direkt nicht geholfen, und auch andere Lösungsversuche sind bislang gescheitert", heißt es in der Mail, die dem STANDARD vorliegt. Zwar verweise der Anwalt darauf, bereits Klagen eingebracht zu haben, das könne man derzeit jedoch noch nicht bestätigen. Die Kammer rät jedenfalls, die Website auf eine lokale Einbindung von Google Fonts – oder einen anderen Schriftenstil – umzustellen.

Keinesfalls zahlen!

Rechtsanwalt Lukas Feiler von Baker McKenzie, den DER STANDARD zu der Sache befragte, sieht die Lage weniger dramatisch: "Aus einer Übermittlung einer IP-Adresse an Google ergibt sich für den Betroffenen kein Schaden. Die Schadenersatzforderung ist daher unberechtigt. Betroffenen Unternehmen, die eine Abmahnung erhalten, muss man unbedingt raten, die Schadenersatzforderung nicht anzuerkennen und daher keinen 'Schadenersatz' zu zahlen." Árpád Geréd, Rechtsanwalt bei MGLP in Wien und mit dem vorliegenden Fall betraut, zweifelt gegenüber dem STANDARD sogar an, dass die vom "Datenschutzanwalt" angeführten IP-Adressen überhaupt personenbezogen seien. Die Mandantin lebe vermeintlich in Wien, die angeführten dynamischen IP-Adressen seien aber Graz zuzuordnen. Auch sei aus Logfiles ersichtlich, dass immer nur die Startseite aufgerufen und CSS-Daten heruntergeladen worden seien, was auch durch einen "Crawler", also eine Software, und nicht eine natürliche Person, durchgeführt hätte werden können.

Der klagende "Datenschutzanwalt" wiederum warnt auf seiner Website vor "falschen Auskünften durch Interessenvertretungen": "Uns ist bekannt, dass eine bestimmte Interessenvertretung sowohl telefonisch als auch in der Zeitung falsche Informationen erteilt und darauf basierend dazu rät, sich lieber auf einen Prozess einzulassen, als sich außergerichtlich zu einigen. Damit schädigt diese Organisation potenziell ihre eigenen Mitglieder", heißt es dort.

Der Landesobmann der Freiheitlichen Wirtschaft Niederösterreich, Reinhard Langthaler, will von der WKO hingegen einen "Musterprozess": "Solchen Machenschaften darf man keinen Millimeter nachgeben, sondern muss einen Präzedenzfall schaffen, der andere Abzocker gar nicht mehr auf die Idee kommen lässt, Ähnliches zu versuchen." (Michael Windisch, 23.8.2022)